Zum Umgang mit Komplexität im Kontext Schule

Gedanken zur aktuellen Situation des Bildungssystems und was wir jetzt tun können

Schüler:innen werden wie Waschmaschinen behandelt. Es gibt klare Anleitungen, wie diese zu bedienen sind.  Wir versuchen durch Planung, deren Reaktionen bis ins letzte vorauszusehen. All das im Namen der Effizienz*. Das hat sogar einen Begriff: Guter Unterricht

 

Wir wundern uns jedoch, wenn die Schüler:innen nicht reagieren wie gewünscht, suchen im besten Falle den Fehler in der Planung, in den meisten Fällen jedoch bei den Schüler:innen. Um also die Güte ihrer Reaktionen mit der geplanten abzugleichen, bewerten wir Schüler:innen. Die, die nach Plan funktionieren, sind „sehr gute“ Schüler:innen, dann gibt es welche bei denen funktionierte nicht alles, aber OK. Ein kleinerer bis mittlerer reagiert ganz anders und folglich nicht planungskonform und wird dann als ungehobelt, frech, unverschämt oder schlecht eingestuft. Wir versuchen dann Ordnung durch Benotung, Bestrafung oder Belohnung herzustellen. 


Der Fehler liegt aber nicht bei den Schüler:innen, auch nicht bei der Lehrkraft, wie man vermuten könnte. Vielmehr ist es ein gesellschaftlicher. Wir denken in linearen Mustern. Ursache-Wirkung. Suchen nach Gründen. Wir versuchen mit Kontrolle und klaren Strukturen Ordnung zu schaffen. Was wir nicht berücksichtigen ist, dass wir bei Erziehung und Ausbildung mit Menschen arbeiten. Und die verhalten sich komplex. Wenn wir mit bekannten Strategien an komplizierte Probleme herangehen, funktioniert das gut, aber diese Strategien können wir nicht in komplexen Situationen - wie dem Umgang mit Menschen - anwenden. 

 

„Schüler:innen werden wie Waschmaschinen behandelt.“


Wie oben bereits geschrieben, versuchen wir Planungsfehler wiederum durch Strategien aus der komplizierten Domäne auszugleichen, nämlich durch Motivationsversuche, Belohnungen und Bestrafung - Mich stört es immer wieder, wenn ich an Klassenräumen vorbeigehe und höre, dass drinnen eine Schüler:in angeschrien wird und für ihr Verhalten einen Tadel erhält. Als ob man durch Zwang und Druck Menschen zu irgendetwas führen könnte. Das was höchstwahrscheinlich passiert, ist, dass diese Schüler:in beim nächsten Tadel überreagiert, weil der menschliche Körper auf Stressoren mit Überkompensation reagiert und sich im Falle einer erneuten Konfrontation stärker gegen diesen Stressor behauptet**. Man sieht dass Belohnung, Bestrafung ebenfalls zu nicht-linearen, also eben jenen unvorhersehbaren Reaktionen führen. 

Manchmal kommt man dann in einen Teufelskreis. Wer kennt nicht diese eine Schüler:in, die immer wieder „auffällig“ wird, die Maßnahmenkonferenz an Maßnahmenkonferenz erträgt, um letztlich von der Schule zu „fliegen“ oder als unbeschulbar eingestuft wird. Gescheitert in einem System, dass versucht mit Strategien aus der komplizierten Domäne, komplexe Aufgaben zu lösen. Eben jenem System, dass nach außen die Illusion wahren will, dass sich jede Person in ihr wohlfühlen soll. 


Wohlfühlen ist ein gutes Stichwort. Neuerdings wird vom Well-Being gesprochen (OECD Lernkompass 2030). Jede:r hat als Ziel, das Wohlergehen der einzelnen und der Gesellschaft zu erreichen und zu erhalten. Schule wird nicht isoliert als Ort der Ausbildung betrachtet, sondern systemisch eingebettet in das komplexe Gefüge Schule, Elternhaus, Schulumfeld, Nachbarschaft, Stadtteil etc. Alle Personen im Umfeld einer Schüler:in bilden eine Co-Agency und unterstützen sie dabei, dieses Ziel zu erreichen.  Dieser Ansatz (einer unter vielen Lösungsvorschlägen für eine Reform) zeigt, dass wir (in diesem Fall Personen der OECD) einen systemischen Ansatz verfolgen, also beginnen komplexe Lösungen zu suchen. 

Wie gelingt das umdenken, weg von Strategien des linearen Denkens (der komplizierten Domäne), hin zu nicht-linearen Strategien (komplexe Domäne)? Und wie sehen komplexe Lösungsstrategien aus? Wie können Lehrer:innen in komplexen Situationen handeln? Sind Didaktik und Pädagogik zu verteufeln?

 

Ich will mögliche Antworten geben und bitte zu bedenken, dass im komplexen Umfeld dies nur Lösungen neben weiteren möglichen Lösungen sind. Es gibt keine „beste“ Lösung. 

 

Der Reihe nach! Wir beginnen mit einer kleinen Gegenüberstellung. Zu klären ist zunächst was ich mit linearem und nicht-linearem Denken meine, bzw. was die komplizierte Domäne im Kontext Schule ausmacht und was zur komplexen Domäne gehört. Wir halten fest: Unterricht und Erziehung von Kindern und letztlich der Umgang mit Menschengruppen ist komplex. Um komplexe Aufgaben anzugehen greifen wir aktuell auf Problemlösestrategien aus der komplizierten Domäne zurück.


„Jede:r hat als Ziel, das Wohlergehen der einzelnen und der Gesellschaft zu erreichen und zu erhalten.“


Die Tabelle zeigt eine sicherlich (noch) nicht vollständige Gegenüberstellung, verdeutlicht aber vielleicht was ich meine.

 

Komplizierte Domäne

Komplexe Domäne

Kontrolle ausüben

Selbstorganisation ermöglichen 

Hierarchie nutzen, Rollenklarheit

Beziehungen und Netzwerke nutzen 

Entscheidungen werden von wenigen getroffen und durchgesetzt

An Entscheidungen werden alle Betroffenen beteiligt

Feste Strukturen aufbauen

Kleine, immer wieder wechselnde Gruppierungen bilden

Planung 

Testen und anpassen

Fehler vermeiden

Kleine Fehler machen und daraus lernen

Suche nach bester Lösung

Akzeptanz verschiedener Lösungen, Sinnstiftung

Vereinfachen und kategorisieren

Vielfalt zu lassen

 

 

Die Strategie in der komplizierten Domäne (lineares Denken) sind langfristig, gut durchdachte, Eventualitäten abschätzende, Zufälle ausschließende Analyse und Planung. Man sucht immer nach der besten Lösung. Man will den besten Unterricht ermöglichen, man sucht Entscheidungen, die möglichst viele zufriedenstellen. Fehler sind Ergebnis mangelhafter Planung und sollten vermieden werden. Damit möglichst keine Fehler passieren, ist es wichtig, den Handlungsprozess, z.B. die Durchführung von Unterricht, zu kontrollieren. Man muss alles „im Griff“ haben, damit nichts unvorhersehbares passiert. Wer kennt nicht den Spruch: „Die Lehrkraft ist Kapitän:in! Die Schüler:innen die Besatzung.“ Mein Mathelehrer hatte immer gesagt: „Es gibt die kleinen und die großen Hunde. Und die kleinen gehorchen den großen.“ Was hier verniedlichend angesprochen wird, ist Hierarchie. Um Kontrolle auszuüben und Entscheidungen zu treffen, muss klar sein, wer über wen Kontrolle hat, wer Verantwortung trägt. Jede Person hat eine klar definierte Rolle. Das ist wichtig, um Unvorherrsehbarkeit zu minimieren - es muss alles glatt laufen. Bitte keine Fehler. Wenn doch Fehler passieren - und das lässt sich bei der künstlichen Glättung von Volatilität durch bestmögliche Planung und Entscheidungsfindung nicht verhindern - sind es zumeist Fehler größerer Art (Mobbing, Leistungsverweigerung, Schüler:innen prügeln sich im Unterricht, beleidigen die Lehrkraft, Verhalten sich Rüpelhaft, schwänzen Unterricht u.ä.). Derartige Fehler zerstören Unterricht vollständig und darüberhinaus vor allem das Beziehungsgefüge***.

 

Und: Gute Beziehungen sind das Wichtigste. Punkt. 

 

Ok, so ungeklärt will ich das nicht stehen lassen. Wenn wir nicht-linear denken, denken wir systemisch. Alles und jede:r ist mit allem und jeder verbunden. Wie ein organisches Gebilde. Wie in einem Netzwerk. Und Störungen des Netzwerks an der einen Stelle beeinflusst auch alle anderen im Netzwerk. Nutzen wir also zukünftig Netzwerke und Beziehungen und lassen Rollenzuschreibung und Hierarchie außen vor. Das geht dann einher mit der Abgabe von Kontrolle. Anstelle von Kontrolle sollten wir Selbstorganisation ermöglichen. Das heißt auch, Mitbestimmung zulassen, dass wir an Entscheidungen alle Betroffenen beteiligen und kleine, wechselnde Gruppierungen bilden sowie feste Strukturen (wie Klassen, feste Arbeitsräume etc.) einreißen. Wenn wir Selbstorganisation den Vorzug geben, müssen wir auch Fehler zulassen, also Trial and Error nutzen. Die übergeordnete Strategie der komplexen Domäne ist ausprobieren - anpassen - reagieren. Also lassen wir viele Fehler zu, damit jede:r daraus lernen kann. Selbstorganisation erfordert weiterhin, dass es nicht die „eine, beste“ Lösung für ein Problem gibt, sondern viele parallel entstandene Lösungen. Aber keine Sorge, die Lösungen, die von wenigen als sinnhaft erlebt werden oder die nicht gut funktionieren, verschwinden auch von selbst wieder, weil sie keine Person weiterverfolgen wird. 


„Anstelle von Kontrolle sollten wir Selbstorganisation ermöglichen“


Fassen wir kurz zusammen: Wir konnten klären, was Strategien aus der komplizierten und der komplexen Domäne, also aus linearen und komplexen Denkmustern sind und dass sie sich grundlegend unterscheiden. Kurz: Ausprobieren, anpassen, reagieren in kurzen Zyklen mit kleinen Fehlerkorrekturen. 
 

Vielleicht konnte ich Sie überzeugen, warum wir einen Wechsel der Denkmuster brauchen. Falls nicht, möchte ich gerne noch eine Tatsache anfügen. In den USA haben Studien ergeben, dass People of Colour im Mathematikunterricht signifikant schlechter abschneiden als ihre Mitschüler:innen. Das liegt zum einen daran, dass Mathematiklehrkräfte den in ihrer eigenen Ausbildung selbst erlebten Unterricht in ihre Berufspraxis übertragen. Sprich, es genauso machen wie ihre Vorgänger:innen. Zum anderen liegt es an der Art Mathematik zu unterrichten. Oft wird mit Aufgaben mit eindeutiger Lösung gearbeitet, nicht sprachsensibel unterrichtet und die einzelnen Bereiche sind linear und sequenziell aufgebaut. Darüber hinaus wird Schüler:innen zumeist nur ein Lernweg aufgezeigt und vorgemacht, den sie dann nachmachen sollen. Und letztlich schaden auch Kontrolle und Bewertung. Diese Tatsachen stärken white supremacy im Mathematikunterricht, benachteiligt also PoC. Sie sehen, es gibt starke Überschneidungen, mit dem was ich zu linearem und nicht-linearem  Denken formuliert habe.

 

Kommen wir nun zu ein wenig Praxis. Wie können wir dann unterrichten? Was ist eine 15% Lösung, also eine sofort und ohne Ressourcen und Hilfe umsetzbare Lösung? 

 

Mein Vorschlag: Nutzen Sie 1-2-4-alle, manchem auch als Think-Pair-Square-Share bekannt. Nutzen Sie es beispielsweise immer dann, wenn sie eine Entscheidung treffen müssen. Oder zum Lösen einer Aufgabe. Lassen sie 1 Minute Zeit zum Nachdenken und notieren, welche Ideen die Schüler:innen zur Lösung einer Aufgabe haben. Lassen Sie sie sich zu zweit 2 Minuten darüber austauschen. Dann 4 Minuten lang zu viert. Am Ende werden im Plenum die Ideen gesammelt. Sollte die Zeit zu knapp gewesen sein und nur wenige Ideen entstanden sein, können Sie einfach noch eine Runde 1-2-4-alle dranhängen. Halten Sie die Schritte kurz und geben Sie gegebenenfalls Gelegenheit zur Iteration. Zyklisch arbeiten!
 

Kombinieren Sie diese Vorgehensweise zum Beispiel auch mit offenen Aufgaben, um möglichst viele Lösungsideen zu sammeln. Oder erweitern Sie um eine gemeinsame längere Diskussionsphase. Hier bietet sich zum Beispiel das Conversation Café an. Ich skizziere mal den Ablauf für eine Aufgabe im Mathematikunterricht.


Das Conversation Café im Mathematikunterricht 


Ziel: Ein gemeinsames Verständnis der Aufgabe entwickeln und so zu Lösungswegen eigenständig gelangen. 

Kompetenzen: Argumentieren und Begründen, Kommunizieren, Problemlösen

 

Personen: 5-7 

 

Material: Gruppentisch mit Flipchart um Lösungsansätze aufzuschreiben, Redeobjekt

 

  • Lassen Sie die Schüler:innen die Aufgabe zunächst 5 Minuten lang alleine lösen. (Problem erkunden). Als vorbereitende HA denkbar
  • Stellen Sie das Problem/ die Aufgabe nochmals kurz vor. 
  • 1. Runde: Jede Schüler:in erzählt zunächst, wie sie die Aufgabe lösen würde oder was sie beim bearbeiten der Aufgabe gedacht, gefühlt hat und gibt das Redeobjekt weiter. (1 Min pro Schüler:in) (7 Min)
  • 2. Runde: Wie 1. Runde, aber Ideen aus der ersten Runde dürfen aufgegriffen werden und weitergeführt werden. (7 min)
  • 3. Runde: Freie Diskussion über die Aufgabe (10-15 Minuten). Optional: Redeobjekt verwenden
  • 4. Runde: Jede Schüler:in erzählt welche Aha-Momente und weitere Fragen sie aus den Runden mitnimmt.(7 min)
  • Aufgabe alleine lösen bzw. Lösung sauber formulieren lassen. 

 

Regeln für die Gesprächsrunden

  • Versucht so gut ihr könnt, Gesagtes nicht zu bewerten
  • Respektiert einander
  • Versucht zu verstehen statt zu überzeugen
  • Begrüßt und wertschätzt verschiedene Meinungen
  • Sprecht eure Gefühle immer ehrlich aus.  

 

Weitere Methoden findet man bei den Liberating Structures, sogenannte Mikrostrukturen, die alle Teilnehmenden zu Beteiligten machen.

 

Kommen wir nun zum Grand Finale: Didaktik verteufeln, ja oder nein?

 

Die Frage allein schreit schon nach Linearität. Wie gesagt im komplexen gibt es keine eindeutige, keine beste Lösung. Bei Didaktik, also der Kunst des Lehrens, müssen wir unterscheiden zwischen der Plandidaktik (linear) und der Agilen Didaktik (nicht-linear). Beide Co-existieren auf einem Kontinuum (Achtung auch ich bediene mich noch häufig dem linearen Denken. Es macht deutlich wohin es gehen soll). Plandidaktik auf der einen, Agile Didaktik auf der anderen Seite****.

 

Plandidaktik ist je nach Fach natürlich ein bisschen anders, aber im Grunde sind es Lösungen aus der komplizierten Domäne. Es wird geforscht, evaluiert, studiert um der Frage nachzugehen: wie Lehre ich Mathematik, Deutsch, Englisch usw. Dabei werden Pläne ausgearbeitet, Aufgaben konstruiert in Bücher gepresst, neuerdings auch in Lehrvideos, Tutorials etc. Es werden Pläne geschmiedet, wie Diagnostik funktioniert, wie wir gerade jetzt nach Corona Lernlücken identifizieren und schließen können. Letztlich geht es um die Frage nach dem guten, oder sogar besten Unterricht. Manche Didaktiker:in wird jetzt sicherlich aufschreien, bei meiner saloppen Beschreibung ihres Berufsfeldes (Sorry!). Was soll ich sagen? Ich finde, sie haben alle Lösungen anzubieten, die funktionieren. Jede:r kann sich daran bedienen und wird Anleitungen an die Hand bekommen, die funktionieren. Auch weil sie durch Evidenz und Evaluation gestützt sind. Es wurde getüftelt und ausprobiert, was geht und was nicht. Wow, genauso soll es doch sein, im komplexen Raum! Wir verkennen aber, dass alle Lösungen co-existieren, das keine die beste Lösung ist. Irgendwie sucht man ja gerade als Lehrkraft immer nach Patentrezepten, findet was und übernimmt es und stellt dann fest, dass es ja doch nicht so gut in der Lerngruppe funktioniert (Das mag dem oder der einen Leser:in dieses Textes auch so gehen. Bitte bedenken Sie, dass ich auch nur eine Lösung unter vielen aufzeige, aber vielleicht ja für Sie sinnstiftend darstelle). Lange Rede, kurzer Sinn. Es gibt viele Lösungen, Handreichungen, Anleitungen (oder wie auch immer Sie sie nennen wollen) und keine ist die Beste! Sie bieten aber gute Ausgangspunkte, um in den Unterricht einzusteigen. Irgendwo muss man ja anfangen. Und dann kommt die Agile Didaktik ins Spiel. Ja, sie drängt sich quasi auf! Weil die besten Handreichungen irgendwann versagen, man selbst ins tüfteln kommt, Anpassungen vornimmt und schon mittendrin ist. Aber warum sollten Sie als Lehrkraft oder Dozent:in alle Entscheidungen, alle Planung, alle Inhalte etc. selbst treffen und auswählen. Mitbestimmung ist das Zauberwort! Agile Didaktik ist es, wenn die Lernenden wichtiger sind als der Plan. (O-Ton Christof Arn). Gestalten Sie gemeinsam MIT den Lernenden, lassen Sie ihnen Freiraum, stellen Sie komplexe offene Aufgaben und unterstützen Sie sie bei der Bewältigung, ohne alle Schritte bis ins kleinste durchzuplanen. Lassen Sie sie Fehler machen, arbeiten sie in kurzen Zyklen, wie beim Scrum, damit sie Fehler berichtigen können, geben Sie ihnen die Möglichkeit sich selbst zu managen, selbstverantwortlich zu handeln und haben Sie Spaß dabei zu sehen, welche großartige Wirkung sich entfaltet.

 

Ok, das war jetzt sehr pathetisch gesprochen. Ich bin ins Schwärmen gekommen. Aber so kann es sich entfalten. Fangen Sie klein an, nehmen Sie 1-2-4-alle als Grundpfeiler. Bauen Sie ein paar Liberating Structures ein, meinetwegen lesen sie noch ein paar Bücher wie „Agilität und Bildung“ und machen Sie das Wichtigste: Ausprobieren, anpassen, reagieren. Und das am besten zusammen mit Ihren Schüler:innen, Kolleg:innen, Ihren Ausbilder:innen, Ihren Mentor:innen oder mit Freund:innen. 

 

Ich habe fertig!


„das Wichtigste: Ausprobieren, anpassen, reagieren“


Ne ne, so leicht kommen Sie hier nicht weg. Einen Blick auf Leistungsbewertung und Notengebung muss schon noch sein. Wie soll das gehen ohne Kontrolle und fehlende eindeutige Lösungen bei offenen komplexen Aufgaben? Ich kenne da mindestens zwei Personen (Grüße in die Schweiz und nach Berlin), die haben passende, mir sinnvoll erscheinende Lösungen. Schauen Sie doch mal bei Twitter unter dem Hashtag #notenade. Und, hier von mir kleine 15% Lösungen: 

 

  1. Peer-Feedback: Führen Sie Retrospektiven ein, bei denen sich die Lernenden untereinander Feedback und Hilfe geben. Eine passende Liberating Structure wäre dazu Wise Crowds. Arbeiten Sie mit Blogs oder ePortfolios in denen die Lernenden Reflexionsaufgaben  bekommen und Ihren Lernweg dokumentieren. 
  2. Lassen Sie mit 1-2-4-alle die Lernenden jeweils 5 Kriterien erarbeiten, von denen sie meinen, dass sie wichtig sind. Z.B. Meldeverhalten, Qualität der Beiträge, Störungen, Aufmerksamkeit, Qualität von Lernprodukten, Hausaufgaben, Teamarbeit, Mitarbeit. Lassen Sie die Schüler:innen sich auf einer Skala von 0-5 darauf selbst einschätzen. Fordern Sie Begründung ein, z.B. schriftlich oder per Audio. Nutzen Sie dafür Satzanfänge: Im Bereich… sehe ich nicht auf Stufe…, weil… Insgesamt ergibt sich daher für mich eine Leistung mit der Note…Oder sprechen Sie über Noten erst am Ende eines Halbjahres. 
  3. Nutzen Sie Exit-Tickets: Stellen Sie am Ende der Woche kleine Aufgaben, die die Schüler:innen mit einer bestimmten Punktzahl abschließen müssen, die sie aber mehrmals durchführen können.
 

Und zum Abschluss, bevor sie jetzt glücksbeseelt vom Text oder vor Ärger schäumend Ihr Tablet weglegen oder Ihre Kritik in die Kommentare kritzeln, stellen Sie sich eine Frage: Was würden Ihre Lernenden verpassen, wenn Sie nicht so arbeiten würden, wie ich es skizziert habe?


Fußnoten

* Taleb schrieb dazu in seinem Buch „Antifragilität - eine Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen“ allgemeiner, dass Menschen wie Waschmaschinen behandelt werden. Ich glaube, dass Talebs Sichtweise ohne Probleme auf die Situation der Schüler:innen übertragen werden kann.

 

** Eine kleine Anmerkung: Ja auch dieses Beispiel ist ziemlich linear gedacht. Es kann eben auch anders kommen. Die Reaktion der Schüler:in ist auf jeden Fall vom Zufall abhängig. Gepaart mit ein paar Faktoren, z.B. spielt das vorhergehende Verhältnis von Lehrkraft und Schüler:in eine große Rolle. Wenn es gut ist, also von Wertschätzung geprägt, dann kann auch ein „Anschiss“ verziehen werden. Es ist manchmal sogar so, dass im Falle einen kurzen, lauten und prägnanten Ansprache, Adrenalin im Körper der Schüler:in ausgeschüttet worden, so dass sie für einen kleinen Zeitraum wieder vollkonzentriert mitarbeiten kann. Man sieht, es gibt nicht ein Ursache-Wirkungsgefüge sondern eine nicht-lineare Reaktion. Eben weil menschliche Beziehungen ebenfalls komplex sind.

 

*** Ich habe hier noch nicht die extremsten Fälle beschrieben. Es geht noch schlimmer. Was ich zeigen will, ist, dass Kontrolle und Unterbindung von Zufälligkeiten zwar kleinere Fehler verhindert (also z.B. zur viel genannten „guten“ Klassenführung (Die Lehrkraft hat alles im Griff) beiträgt), aber letztlich zu einem Fehler größerer Art führen kann, der dann zerstörerische Folgen haben kann.

 

**** Die Idee beide Didaktiken auf Enden einer Skala zu setzen stammt von meinem geschätzten Bekannten Christof Arn, der den Begriff Agile Didaktik vor allem im Hochschulkontext entscheidend geprägt hat.

Montag, 1. November 2021

Unterricht nachbesprechen- und alle sind beteiligt!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Erfahrungsbericht mit Liberating Structures

 

Seit ich im Jahr 2011 die erste Mentorentätigkeit übernommen habe, war es mir ein Anliegen die Nachbesprechung so zu gestalten, dass alle Beteiligten, also ich und die Referendar:in und ggf. noch weitere Personen, auf Augenhöhe und ohne viele Monologe kommunizieren können. Mir war und ist wichtig, dass der Unterricht gemeinsam reflektiert wird und man gemeinsam nach Feed foward, also konkreten Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung und Professionalisierung der Referendar:in, sucht. Seither bin ich auf der Suche nach Möglichkeiten, die mir dies ermöglichen. Im eigenen Referendariat wurde ich bereits mit einem Verfahren konfrontiert, dass ich als wertschätzend empfunden habe, welches mir selbst wenig konkrete Handlungsmuster aufzeigte, die ich zudem möglichst allein, eigenverantwortlich finden sollte. Ich adaptierte vieles davon und ergänzte Methoden aus der Supervision. Damit kam ich zunächst gut zurecht, war aber nicht vollends zufrieden. Auch Methoden aus dem Coaching, die ich testete, verwarf ich spätestens nach Unterrichtsbesuchen bei meiner Bewerbung zum Fachseminarleiter. Mir und auch den mit diesem Nachbesprechungssetting betreuten Praktikant:innen und Referendar:innen gefiel nicht, dass sie kein Feedback von mir bekamen, sondern selbst - von sich aus - nach Verbesserung suchen sollten. Also Feedback musste sein. 

 

Im Landesinstitut arbeitete ich kurz nach meiner Beförderung nach dem Konzept von Schlee. Jeder schreibt dabei positive und verbesserungsfähige Dinge auf farbige Karten. Darüber wird dann gesprochen. Irgendwie gefiel mir das auch nicht so recht, weil es in meiner eigenen Ausbildung ja bereits so gemacht wurde (s.o.). Also probierte ich vieles aus, war aber nie so recht zufrieden. Viele Ideen dazu stammten aus dem Buch Unterricht kompetenzorientiert nachbesprechen von Köhler und Weiß aus dem Jahr 2015.

 

Im Jahr 2019 entdeckte ich die Liberating Structures und 2020 habe ich begonnen damit meine Seminare zu gestalten. Jetzt, nach dem ich das Buch von Daniel Steinhöfer (2021) gelesen habe, wurde mir die Vorgehensweise deutlicher und ich habe einen String erstellt, der nun in meinen Nachbesprechungen Einsatz finden soll. 

 

Liberating Structures und Strings

 

Wichtig beim Einsatz von Liberating Structures ist immer ein Purpose, also Sinn und Zweck für den Einsatz. Mein Purpose für die Nachbesprechung ist folgender: 

 

Die Nachbesprechung und die Hospitation existieren, um gemeinsam mit den Referendar:innen und ggf. weiteren Dritten Planung und Durchführung von Unterricht zu reflektierenFeedback zu geben und gemeinsam nach Feed Forward zu suchen. Das ist wichtig, um die Refendar:innen im Professionalisierungsprozess bestmöglich zu unterstützen.

 

Kleine Anmerkung: Wichtig in diesem Zusammenhang ist, das "gemeinsam". Alle sind gleichberechtigte Beteiligte und Betroffene. Alle werden gleichermaßen gehört, gesehen und respektiert.

 

 

Wenn man den Purpose kennt, überlegt man sich zunächst, welche klassischen Methoden man klassischer Weise nutzen würde. Meist präsentiert die Refenredar:in zunächst ihre Sichtweise auf Planung und Durchführung von Unterricht, dann kommt die Statusrunde: Jede Person erzählt, was sie beim Unterricht gut oder nicht so gut findet. Danach knüpft dann eine Runde offene Diskussion an, die wieder in einer Präsentation endet, in welcher die Referendar:in berichtet, was sie aus dem Gespräch mitnimmt. Je nach Reflexionskompetenz, Extrovertiertheit oder Schlagfertigkeit der Gesprächspartner:innen, wird dann eine Person im Gespräch dominieren; oft ist es die Seminarleitung. So sollte es nicht sein!

 

Daher zeige ich hier eine Variante auf, wie ich es jetzt mache. Und zwar mit einem String, einer Abfolge von Liberating Structures, die dem Purpose folgen:

 

 

Vorgehensweise

 

Ich beginne mit 6x6-Writing.

 

Einladung: Wir nehmen uns gemeinsam Zeit eine Reihe von Aussagen zu bestätigen oder zu widerlegen.

 

 

Aussagen: 

 

  • Die Lernenden haben in dieser Stunde überhaupt nichts gelernt! 
  • Merkmale guten Unterrichts lassen sich nicht erkennen!
  • Weder in der Durchführung noch in der Planung des Unterrichts ging die Lehrkraft auf die Lernenden ein
  • Es war kein roter Faden in der Stunde erkennbar! 
  • Ich könnte mir keine Alternative zu einzelnen Stundenphasen vorstellen!
  • Der Unterricht ließ keinerlei soziales Lernen zu! 

 

6 Minuten in Einzelarbeit

 

  • Teilen der Antworten im Wechsel (8 min). Kein Monologisieren zulassen.
  • Auswählen der spannendsten, wichtigsten und erstaunlichsten Antworten, unterstreichen, dann die wichtigste Antwort auswählen. (6 Minuten)

 

 

Es schließt What? So what? Now what? an

 

Einladung: Wir wollen hier das Gesagte ein wenig reflektieren und konkrete Maßnahmen zur weiteren professionalisierung herausarbeiten! 

 

  1. What? Überlegen wir eine Minute: Was ist aufgefallen, was wurde beobachtet? Was ist passiert? Was haben wir gedacht? Aufschreiben (Post-its mit einem Kanban können helfen). Ideen teilen (4 Minuten)
  2. So What? Überlegen wir eine Minute: Warum ist das für mich wichtig? Welche Annahmen ergeben sich daraus? Aufschreiben! (4 Minuten) 

 

 

Now What? mit LS 15% Solutions kombiniert.

 

Einladung: Was kann zur Lösung, Bearbeitung oder Umsetzung dieses wichtigen Problems beitragen, ohne dass Hilfe, Ressourcen oder Erlaubnis eingeholt werden müssen?

 

  1. Kurze Erläuterung warum kleine Lösungsschritte sehr wichtig sind. Z.B.: Schmetterlingseffekt, Schneeball kommt ins Rollen (2 min)
  2. Liste mit 15% Solutions schreiben (3 min). Tipp: Lass hohe Ansprüche und streben nach Perfektion zu Hause!
  3. Ideen vorstellen je 3 min
  4. Ideen schärfen. Sind es wirklich Ideen, die sich autonom ohne Hilfe und Ressourcen durchsetzen lassen? Etwa 3 min pro Person)

 

Ende und abschließende Meta-Reflexion zur Methodik.

 

Wie gut konnte die Beratung dir helfen? Wie hast du dich im Prozess gefühlt?

Wie gut hat die Methodik zum Purpose gepasst?

 

 

 

Spontane Rückmeldungen von Beteiligten zu diesem Vorgehen: 

 

  • 15% Solutions sind genial, weil man dann was hat was man gleich umsetzen kann und was einen sofort dazu anregt tiefer darüber nachzudenken 
  • Die Einzel-Phase mit Schreibauftrag waren hilfreich, weil man sich so nochmals intensiver mit Planung und Stunde auseinandergesetzt hat.
  • Alle Personen hatten gleich viel Sprechzeit. Niemand hat das Gespräch dominiert. Jede Person wurde angehört.
  • Struktur hilft sich zu fokussieren. 
  • Zeitplan wurde exakt eingehalten, kein abschweifen und unnötiges Geschwafel.
  • Jede Person durfte ihre Meinung kundtun und diese wurde ernsthaft gewürdigt.

 

Beteiligte waren Schulleitung, Referendar:innen und ich als Seminarleitung Mathe.

 

In einer Online-Beratung nutze ich ein vorbereitetes Miro-Board
Samstag, 23. Oktober 2021

(Online)-Barcamps in der Lehrer:innenausbildung

 

Was ist ein (Online)-Barcamp?

Zunächst beschreibe ich ein „normales“ Barcamp, wie es vor Corona in Präsenz ablief. Das erste deutsche Barcamp gab es 2006. Der Name hat nichts mit einer Bar zu tun, sondern Bar ist ein Begriff aus der IT-Branche, das für einen Platzhalter steht, wie z.B. beim Wort Barcode. Das Wort camp wurde hinzugefügt, da die ersten Barcamps über mehrere Tage gingen und man vor Ort übernachtet hat. Gelegentlich wird das Barcamp auch als Unkonferenz bezeichnet. Das trifft es gut, da wie bei einer Konferenz alle Teilnehmer:innen zusammenkommen, um sich weiterzubilden. Bei einer Unkonferenz gibt es auch ein übergeordnetes Thema, allerdings werden die Inhalte von den Teilnehmer:innen vor Ort festgelegt und in sogenannten Sessions angeboten. D.h. die Teilnehmer:innen sind eigentlich Teilgeber:innen. Das Konzept beruht auf Augenhöhe aller Teilgeber:innen. 
Da alle mit eingebunden sind, erfolgt ein reger Wissensaustausch, es werden neue Ideen entwickelt, Kontakte geknüpft und Projekte angestoßen. 

Während der Corona-Pandemie entwickelten sich verschiedene Formen von Online-Barcamps. Das Grundprinzip ist gleich. Allerdings gab es unterschiedliche Spielarten. So entwickelte sich z.B.das flipped Onlinebarcamp. Dabei werden schon im Vorfeld des eigentlichen Barcamps Themenvorschläge per Video-Botschaft eingereicht. Unser erstes Mathe-Barcamp lief ebenfalls so ab.

Wie läuft ein (Online)-Barcamp in der Ausbildung von Lehrer:innen ab?

Das erste Flipped Onlinebarcamp Mathematik am Landesinstitut für Schule in Bremen hatte das Oberthema Differenzieren im Matheunterricht. Alle Referendar:innen wurden in einen Kurs auf itslearning eingeladen. Dort gab es alle Infos zum Ablauf. Die Teilgeber:innen konnten dort Themenvorschläge per Video-, Audio- oder Textbotschaft eingereicht werden. Daraus ergab sich der Sessionplan. Die Teilgeber:innen konnten sich dann auch im Vorfeld über die angebotenen Sessions informieren. Auch war es möglich, dass sich die Referendar:innen in einem Forum per Video, Text oder Bild kurz vorstellen konnten.

 

Am Tag des Barcamps konnte dann schnell begonnen werden. In einer gemeinsamen Auftakt-Videokonferenz wurde nochmals kurz der Ablauf vorgestellt und nachgefragt, ob noch jemand eine Session nachreichen wolle. Diese Angebote wurden dann noch in den bestehenden Plan eingebunden. Über Links konnten die Teilgeber:innen nun in die verschiedenen Videokonferenz-Räume wechseln. Durch den Sessionplan wussten sie immer was, wann hinter welchem Link passierte. Dokumentiert wurden die Sessions in kollaborativen genutzten PowerPoint Präsentationen. So konnten am Nachmittag drei Sessions a 40 Minuten besucht werden. Als Pausenraum diente eine Gather Town Konferenz. Das nächste Barcamp zum Thema Methoden im Matheunterricht ist schon geplant und wird je nach Inzidenz in Präsenz oder Online stattfinden.

 

Warum (Online)-Barcamps in der Lehrer:innenausbildung?


Um zu begründen, warum wir erneut ein Barcamp planen, ziehe ich die Ergebnisse der Evaluation hinzu. Ein Barcamp bietet vielen Teilgeber:innen die Möglichkeit neue  Erkenntnisse und Ideen zu sammeln. Das Format lädt zum überwiegend hilfreichen Austausch ein. Die Atmosphäre auf einem Barcamp ist ausgelassen und meistens gut. Es bietet einen gut organisierten Rahmen, für die Inhalte der Teilgeber:innen. Eine Session anbieten lohnt sich, da man hilfreiches Feedback erhält. Das motiviert.

 

Als besonders wird die Freiheit empfunden, jederzeit auch andere Sessions aufzusuchen, und das es praktisch keine Erfahrung mit Barcamps braucht, um sich auf einem Zurechtzufinden. Weiter sind alle auf Augenhöhe. Durch das breite Angebot an Sessions kann jede Referendar:in ein für sie passendes Angebot finden. Da es meist viel Praxis und wenig Theorie gibt, werden die Sessions als gewinnbringend für die eigene schulische Umsetzung gesehen. Ein Barcamp ermöglicht Kommunikation auf Augenhöhe und bietet die Möglichkeit zur Mitbestimmung. Das dies wichtige Elemente sind, kannst du hier nachlesen.

 

Abschließend lässt sich sagen, dass es m.E. Sinn macht in jedem 

Ausbildungssemester ein Barcamp anzubieten. So kann sich das Format in seiner ganzen Wirkung entfalten. Außerdem kann man sich so auf das nächste Barcamp freuen, dass dann vielleicht auch in Echtpräsenz stattfinden kann. 

 

Wenn du Tipps, Fragen oder Anmerkungen für mich hast, schreibe sie mir gerne in die Kommentare. Danke!

 

Mittwoch, 5. Mai 2021

Working Out Loud in der Lehrer:innenausbildung

Was ist Working Out Loud?

Working Out Loud ist eine von John Stepper entwickelte Selbstlern-Methode und Mentalität. Mit WOL wird eine Lernform bezeichnet, bei der es darum geht, mit anderen in einem sog. Circle von 4-6 Personen ein individuelles Ziel zu verfolgen. Der Circle ist in dem 12-wöchigen Durchgang die Konstante. Es sind die Personen, an die man sich vertrauensvoll wenden kann. Aber es geht auch darum, das persönliche Lernnetzwerk (PLN) zu vergrößern und dort Unterstützung zur Erreichung des eigenen Ziels zu finden. 
 

 
 

Rahmen und Ablauf von WOL sind in dieser Sketchnote von Sabina Lammert gut zusammengefasst.

 

Hier sind die 12 Wochen und die jeweiligen Zielsetzungen der Wochen gekennzeichnet. Im Netz gibt es dazu passend den Circle Guide. Ein Handbuch mit Übungen, um den Circles zu ermöglichen, die 12Wochen eigenständig durchzuarbeiten. Der Circle Guide wird laufend überarbeitet. Googelt man nach „Working Out Loud Circle Guide Woche x“ findet man schnell die PDF Version zum freien Download. Dieneue Version ist ein virtuelles Buch, dass neue frei verfügbar bar ist, wenn man sich einem offiziellen WOL Circle anschließt.

Wie setze ich WOL in der Ausbildung von Lehrer:innen um?

Um mit dem 12-wöchigen Programm zu starten, braucht man zunächst folgendes:

  1. Den WOL Circle Guide besorgen und den Referendar:innen zur Verfügung stellen. 
  2. Einteilung der Circles in 4-6 Personen. Ich habe dazu eine kurze Abfrage gemacht, wer mit wem in einen Circle möchte und an welchem curricularem Schwerpunkt man in etwa arbeiten will. Die Schwerpunkte richten sich nach dem Ausbildungscurriculum.
  3. Ein Tabellendokument, um Organisatorisches (Kontaktdaten, Treffzeiten etc. festzuhalten).
  4. Eine kurze Einführungspräsentation in WOL (z.B. die obige Sketchnote + Video)

5. Und nun kann es losgehen. Starte am besten mit Woche 0 (hier)

6. Nach vier und acht Wochen gibt es ein Meilenstein-Meeting mit allen Circles. In diesem Treffen stellen die Referendar:innen sich gegenseitig ihre bisherigen Ergebnisse vor und geben sich gegenseitig Feedback. Den Prozess will ich durch die Methode "Weise Gruppen" umsetzen. Zuvor reichen die Referendar:innen die Ergebnisse auch über die Lernplattform ein und geben sich darüber ebenfalls ein schriftliches Feedback.

7. Nach zwölf Wochen gibt es ein erneutes gemeinsames Treffen. Dort werden nun die Ergebnisse der Lernreise vorgestellt und geteilt. Hier wird ebenfalls Platz für ein abschließendes Feedback und Fazit sein.

Warum setze ich WOL in der Ausbildung ein?

In einem zeitgemäßen Bildungsverständnis ist Lernen für mich agil, selbstgesteuert und kollaborativ, d.h...

  • in Wahl der Methodik und der Medien selbstbestimmt. 
  • in einem festgelegten Zeitraum wird an einem Thema gearbeitet.
  • durch Working out loud, kann man zu jedem Arbeitsschritt Feedback bekommen, das neue Ideen aufbringt oder andere festigt.
  • diese Rückmeldung ermöglicht  Lernschleifen.
  • die Arbeitsschritte sind dadurch nie fix, sondern können bei Bedarf geändert werden.
  • das Endprodukt ist nur vage definiert, lässt also Spielraum für eigene Ideen zur Gestaltung.
  • eine breite Öffentlichkeit hat Zugriff auf die Ideen und Arbeitsschritte und kann meinen Lernweg von Beginn bis Ende mitverfolgen.
  • auch nach Ablauf der Zeit, ist das Produkt nicht in Stein gemeißelt und kann überarbeitet werden (Kantereit 2019).

Ähnliche Forderungen kommen auch aus anderen Richtungen (z. B. Lernkompass 2030, Hagener Manifest 2020). Um schulisches Lernen in diesem Verständnis zu transformieren, ist es wichtig, dass auch Lehrer:innen in Ausbildung agile Methoden anwenden, selbstgesteuert und kollaborativ arbeiten können. In der AG Bildung in der digitalisierten Welt des Landesinstituts für Schule haben wir die Bildung der Autonomie des Menschen als Ziel und Salutogenese als Fundament für die Ausbildung festgelegt. Um das zu ermöglichen, müssen unter anderem Hierarchien abgebaut werden. Die Seminarleitungen legen Wert auf Mitbestimmung der Referendar:innen und auf Kommunikation auf Augenhöhe (vgl. Kantereit 2021). Mit WOL in der Ausbildung kann es gelingen, Lernnetzwerke aufzubauen und somit die Kompetenz des lebenslangen Lernes als bedeutsame Fähigkeit zu erwerben. Lernprozesse werden ebenso wirksamer, da sie am Wissenstand und den Vorerfahrungen der Referendar:innen anknüpfen. Weiter werden soziale Fähigkeiten aufgebaut. 


Eine mögliche Kritik an WOL soll vorgebracht werden. Wie bei allen Methoden, wird es Menschen geben, die mit WOL nicht zurecht kommen. Einem WOL Circle sollte man sich freiwillig anschließen. Das ist, wenn es als fester Bestandteil integriert wird, in der Ausbildung nicht möglich. Es wird verpflichtend. Die Gefahr besteht, dass sich die Referendar:innen zurückziehen und den Freiraum nutzen, um sich mit anderem als ihrer Ausbildung zu beschäftigen. Auf der anderen Seite könnte die Rolle der Ausbilder:innen falsch interpretiert werden, ihnen Faulheit und Desinteresse vorgeworfen werden. Die Rolle der Ausbilder:innen ist nicht mehr die der Wissensvermittlung. Sie werden zu Servant Leaders, also zu dienenden Führungskräften. In diesem Sinne versuchen Sie die Referendar:innen jegliche Unterstützung zukommen zu lassen, die sie brauchen. Gleichzeitig stecken Sie jedoch Grenzen ab, legen Ziele fest und werden letztlich die Referendar:innen beurteilen. 

Ob WOL, so wie ich es nun durchführe, eine Chance in der Ausbildung hat, soll eine Abschlussevaluation zeigen. Eventuell wäre es sinnvoll, WOL fächerübergreifend einzusetzen. Denkbar wäre auch die verkürzte und auf den Bildungsbereich bezogene Variante School Out Loud zu nutzen. Oder vielleicht ließe es sich auch mit der Hausarbeit und dem Kolloquium koppeln. Ich denke jedoch, um es mit den Worten R. Buckminster Fuller zu halten, dass es nicht darum gehen sollte, Bestehendes zu ersetzen oder zu erweitern, sondern etwas neues zu schaffen oder andere Wege zu gehen, die das Alte überflüssig machen.

 

Working Out Loud könnte also diese Neuerung sein, die altes überflüssig werden lässt. Was meinst du? Lass gerne einen Kommentar da.


  • Arn, Christof (2021): Agilität als Raum für Mitsteuerung der Lernenden. In: Kantereit, Tim, Arn, Christof, Bayer, Heinz, Mackevett, Douglas und Lévesque, Veronika (2021): Agilität und Bildung. Visual Ink Publishing, Karlsruhe
Sonntag, 2. Mai 2021

Mini-Projekte mit Kanban

Die Schüler:innen erstellen Lernprodukte wie z. B. Podcasts, Erklärvideos, Blogeinträge oder ähnliches in einem festgelegten Zeitraum in Kleingruppen. Ein Kanbanboard hilft bei der selbstständigen Arbeit während eines oder mehrerer Sprints.

Unterrichtsvorhaben

Kollaboration, Kommunikation, kitisches Denken und Kreativität, Selbstregulation und Verantwortungsübernahme gelten als wichtige Kompetenzen für das 21. Jahrhundert.

Ich möchte hier eine Möglichkeit einer alternativen Prüfungsleistung im Matheunterricht darstellen, die diese Kompetenzen fördern kann und prüft. Es ist an Scrum angelehnt. Scrum ist ein Rahmenwerk in dem Schüler:innen mit hoher Eigenverantwortung in Kleingruppen selbstorganisiert lernen können.

Zunächst wird den Schüler:innen anhand der Story erklärt (siehe Kanan-Boards in den Links unten), was sie zu tun haben. Dann bildet man Gruppen von drei bis fünf Personen. Ein:e Schüler:in wird zum Teamcaptain. Dieser führt das Kanban-Board, dh. sie muss dafür sorgen, dass jedes Teammitglied etwas zu tun hat und kommuniziert mit der Lehrkraft. Dann beginnt das Planung auf dem Kanban-Board. In dieser Phase definieren die Teams ihre To-dos (kleinschnittige Aufgaben). Das dauert in der Regel 30-45 Minuten.

Jedes Mal wenn die Teams sich treffen, um an ihren Aufgaben gemeinsam zu Arbeiten (also zum Beispiel im Unterricht) führen sie ein Daily Standupdurch, besprechen also mit Blick auf das Board, was schon erledigt wurde und was noch fehlt.

Danach arbeiten Sie eigenverantwortlich in den Teams an ihren To-dos und entwickeln ein erstes (unfertiges) Lernprodukt. Dafür haben sie eine Woche Zeit. Dies ist der sogenannte Sprint.

Am Ende des Sprints steht die Sprint Review an. D.h. die Teams stellen ihr bisheriges Produkt vor und erhalten Feedback (auch Peer-Feedback) von der Lehrkraft. Darin sind Verbesserungsvorschläge enthalten.

Man wiederholt das dies ein bis zwei Mal. Am Ende kann man mit einer Retrospektive abschließen. Darin wird die Gruppenarbeit reflektiert. Was lief gut? Was könnte man verbessern?


     

    Kanban Board "Nachhilfe für Sarah" Oberstufe, Integralrechnung 

     

    Kanban Board "Mord in lauer Frühlingsnacht", Oberstufe, e-Funktionen, Begrenztes Wachstum

    Donnerstag, 29. April 2021

    Lean Lesson Planning

    Mit Schüler:innen gemeinsam Unterricht planen

     

    In Anlehnung an die Lean Coffee-Methode aus dem agilen Management kam mit die Idee diese Methode auch zur Planung des Unterrichts zu nutzen.

     

    Beim Lean Coffee geht es darum mit den Teilnehmer:innen einer Konferenz gemeinsam auf Augenhöhe die Agenda festzulegen, nach Wichtigkeit zu sortieren, die Themen zu diskutieren und daraus Aufgaben und Learnings abzuleiten. Dabei gibt es keine Hierarchie. Dieses Vorgehen lässt sich m.E. auf die Schule übertragen. 

     

    Warum Lean Lesson Planning?

     

    Zum Hintergrund: Zeitgemäßer Unterricht baut auf Vertrauen und Kollaboration auf. Die Rolle der Lehrer:in ist verändert und ähnelt der eines „servant leaders“. Sie bereitet einen methodischen Rahmenin dessen sich die Schüler:innen selbstbestimmt bewegen können (Siehe Neun Anzeichen zeitgemäßen Distanzunterrichts). Es herrschen flache Hierarchien zwischen Lehrer:in und Schüler:innen. Mitbestimmung und Eigenverantwortung, sowie Kommunikation auf Augenhöhe sind Elemente agiler Lernprozesse. Diese sind wichtig, denn Lernen richtet somit nach den Lernenden aus, letztere sind dadurch intrinsich motiviert und sie lernen, Lernprozesse zu steuern. (Vgl.

    Agilität - Modewort für Altbekanntes oder Ansatz einer zeitgemäßen Bildung?)

     

    Wie funktioniert Lean Lesson Planning?

     

    Zunächst ist es wichtig, dass sich die Schüler:innen im Sinne des flipped Classroom auf das Planning Vorbereiten. D.h. sie bekommen Inhalte zum Thema durch Websites, Videos, Lernspiele präsentiert. Wichtig ist, hier keine umfassende Sammlung zu präsentieren, sondern lediglich das Thema inhaltlich anzureißen. So reicht je nach Fach und Jahrgangstufe schon eine Schulbuchaufgabe, ein Foto, ein Film, ein Gegenstand oder eine Podcast-Folge. Es geht darum, dass Vorwissen zu aktivieren und neugierig zu machen.

     

    Nun beginnt das Lean Lesson Planning. 

     

    1. Man erstellt zunächst ein einfaches Kanban-Board. Mit den Spalten Thema, in Diskussion, Erledigt.
    2. Man brainstormt Fragen, Themen, Herausforderungen. Je ein Thema pro Post-it. 
    3. Die Themen/ Probleme/ Herausforderungen werden kurz erläutert. 
    4. Mit einem Punkt-Voting, kann jeder die Themen etc. priorisieren. Jede Person kann 5 Punkte verteilen.
    5. Nun können die Themen/Fragen/Herausforderungen diskutiert werden. Nach 8 Minuten entscheidet die Gruppe ob weiter diskutiert wird oder zum nächsten Thema, Frage etc. weiter gegangen wird. 
    6. Man diskutiert solange bis eine zuvor festgelegte Zeit erreicht ist. Abgeschlossene Post-its werden verschoben. 
    7. Man hält Aha-Momente und Aufgaben fest. Diese Aufgaben können dann in den nächsten Stunden im Unterricht bearbeitet werden.

    Durch dieses Vorgehen, welches etwa 45-60 Minuten dauert, können Lernaufgaben definiert werden, die man mit der ganzen Gruppe und/oder in Teilgruppen abarbeitet. Nach dem Planning kann auch bei Wechselunterricht die Distanzgruppe so optimal mit eingebunden werden, da jede Schüler:in weiß, was sie tun kann.
     

    Was meint ihr? Kann das gut gehen? Ist es sinnvoll? Schreibt mir gerne ein paar Kommentare dazu.

    Lean Lesson Planning mit Task Cards

    Lean Lesson Planning mit Infinty Maps

    Samstag, 17. April 2021

    Certified Classtime Educator


    Ich bin nun Certified Classtime Educator. Ich bin sehr überzeugt von Classtime und nutze es gerne. Werde dazu demnächst eine Fortbildung erstellen. Stay tuned 

    Dienstag, 23. März 2021